PC068 Psychotherapie und Religiosität

Im 68. PsychCast quasseln wir über Religiosität und Psychotherapie – wie immer – ohne Experten genau dafür zu sein. Wir machen uns Gedanken, inwiefern Religion eine Ressource sein kann und die Resilienz steigert und in wieweit sie die „kollektive Zwangsneurose“ ist, für die Freud sie hielt. (Übrigens, ja es heisst natürlich „Religiosität“ und nicht „Religiösität“, die live-on-tape-Situation war mal wieder verantwortlich…) Viel Spaß beim Zuhören und Kommentieren!

Einige ausgewählte Studien / Artikel:

Metastudie: Religion fördert psychische Gesundheit

Religion, Spirituality, and Health: The Research and Clinical Implications

Religiosität und Psychiatrie von Dr. Raphael Bonelli

13 Gedanken zu „PC068 Psychotherapie und Religiosität“

  1. Sehr spannemd-danke!

    Ich glaube, Religiosität und Glaube und Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft sind drei sehr unterschiedliche Dinge:

    Dass Glaube und die Glaube(nsgemeinschaft sehr viel Halt gebem können, leuchtet ein. Wenn Religion und entsprechende Regeln/ Ideale aufgezwungen werden, könnem sie aber sicher auch „krank machen“ oder Heilung erschweren (v.a. wenn man den starren Idealen nicht entspricht)..

    Total spannend finde ich aber die eigentliche Gott-glaubensunabhängige Religiosität, wie Ihr sie eingangs definiert habt oder wie Einstein sie beschrieb: „„Zu empfinden, daß hinter dem Erlebbaren ein für unseren Geist Unerreichbares verborgen sei, dessen Schönheit und Erhabenheit uns nur mittelbar und in schwachem Widerschein erreicht, das ist Religiosität.“

    Diese rätselhafte Gabe scheint – wie die Liebe zur Musik- vielen Menschen eigen zu sein- ich gehöre auch dazu. Der Kirche und dem „Gottglauben“ habe ich lange dem Rücken gekehrt – aber wenn ich in der Natur oder mit besonderen Menschen zusammen bin, empfinde ich oft diese tiefe Dankbarkeit und Verbundenheit mit allem, die schwer zu beschreiben ist. Das gibt mir unendlich viel Kraft- auch ohne konkreten Glauben! Darum ist für mich Wissenschaft und Religiosität (in diesem Sinne) auch kein Widerspruch..

    Ich bin überzeugt -ohne empirische Beweise zu haben;)- dass genau das ein urmenschliches (sicher auch irgendwann neurobiologisch beschreibbares) iPhänomen ist, das uns modernen Menschen aber zunehmend verloren geht und ein Schutzfaktor – und eine Ressource- gegen viele psychische Leiden und Störungen ist!

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  2. „Ob Glaube helfen kann, gesund zu machen…“.
    Davon bin ich überzeugt, ich bin Christ (und Mitglied der Ev. Landeskirche).

    Dazu ein paar Bibelaussagen, natürlich ist im Rahmen der Hermeneutik und Exegese der gesamte Inhalt der Bibel zu berücksichtigen:

    Gott heilt alle deine Krankheiten. Psalm 103,3
    Gott kann Wunder vollbringen, aber auch durch Ärzte, andere Therapeuten und Medikamente handeln.

    Wenn ihr Gott um etwas bittet und darauf vertraut, dass die Bitte erfüllt wird, dann wird sie auch erfüllt. Markus 11,24

    Alles, was wir erbitten, empfangen wir von Gott, weil wir seine Gebote halten und tun, was ihm gefällt. 1.Johannes 3,22

    Freut euch immerzu! Lasst nicht nach im Beten. Dankt Gott in jeder Lebenslage. 1.Thessalonicher 5,16-18

    Und Gott ist treu; er wird euch auch in Zukunft in keine Prüfung geraten lassen, die eure Kraft übersteigt. 1.Korinther 10,13

    Christen erleben nahezu unglaubliche Heilungswunder – tagtäglich. Darüber wird in dieser Sendung mit Ärzten und Patienten gesprochen…:
    http://www.bibeltv.de/mediathek/video/389/

    Ich könnte im Internet noch weitere kostenlose Videobeiträge angeben.

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  3. Vielen Dank für die Anregungen von Expertenseite!
    Bestätigen möchte ich, dass sich Glaube und Religion (normalerweise – also nicht pathologisch) keinesfalls „beißt“ mit Wissenschaft, Psychotherapie oder sonstigem. Das sind -für mich- zwei paar Stiefel.
    Man kann Religiosität (z.B. beten) als Resource nutzen, ohne jetzt tatsächlich an einen Gott Vater im Himmel zu glauben. Es hilft als Affirmation z.B. „dein Wille geschehe…erlöse uns von dem Bösen usw.“, wenn ein Problem nicht selbständig zu lösen ist, weil jetzt die Kompetenz dazu fehlt. Gleichzeitig ist aber das Bewusstsein da, dass nur Selbstwirksamkeit „wirklich“ hilft. Vielleicht ist es ein Aufruf an den imaginären, nicht vorhandenen Vater, der mit Rat und Tat zur Seite steht. Vielleicht ist es der Aufruf, den „inneren Vater“ zu aktivieren, um Hilfe zu erhalten.
    Dankbarkeit und Vergebung sind auch sehr heilsam und speisen sich aus Religiosität=Bindung, denke ich.
    Das sehr Ich-Bezogene manch „fanatischer“ Psychotherapie-Anhänger wird durch Religiosität abgemildert, indem das Ich in ein größeres Ganzes (etwas das größer als die Person ist) auf ein realistisches Maß begrenzt wird.
    Auf die Gemeinschaft religiöser Vereinigungen würde ich mich allerdings auch nicht allzu sehr verlassen. Hier kann man sehr enttäuscht werden, eben weil Religiosität da oft eher extrinsisch gelebt wird.

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    • Sie schreiben von einem „imaginären, nicht vorhandenen Vater“.
      Haben Sie sich schon mal damit auseinandergesetzt, ob die Bibel zuverlässig überliefert wurde?
      Vielleicht kann Ihnen dieses Buch als Einstieg dienen:
      https://clv.de/Buecher/Buecher-zur-Bibel/Die-Bibel-im-Test.html?listtype=search&searchparam=die%20bibel%20im%20test
      und der Vortrag von dem Informatiker Prof. Dr. Werner Gitt:
      Warum ich als Wissenschaftler der Bibel glaube.
      http://www.dwg-load.net

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      • Mir geht es hier gar nicht um die Bibel und ob etwas darin authentisch, echt oder gar gottgegeben ist. Die Bibel ist für mich ein Buch wie jedes andere, nicht mehr oder weniger.
        Ich sehe das mit dem „guten Vater“=Gott mehr psychologisch als eine Art „Introjekt“, was aber -denke ich- nur funktioniert, wenn man ein positives Vaterbild gespeichert hat. Bei negativer Vatererfahrung sieht die Sache anders aus. Deshalb vermute ich auch stark, dass die Gott-„Gläubigkeit“ oder Religiosität etwas mit den Erfahrungen (Bindung) der Kindheit zu tun hat. Wissenschaftliche Belege für diese Annahme habe ich nicht, glaube aber schon mal was in der Richtung gelesen zu haben (weiß leider nicht mehr wo). An einen objektiv vorhandenen Gott im Himmel glaube ich nicht.

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  4. da gibt es noch eine seite, daß nämlich vorkommt, die gäubigen haben angst vor ihren religiösen zweifeln und somit angst, selbst zu denken, weil sie sich nicht zutrauen, ihr weltbild zu überprüfen. sie meinen, alles gute dann verlieren zu müssen.
    für kinder solcher menschen aber, die aufgeschlossen die welt wahrnehmen und so manches in frage stellen, ist das schlimm – von ihren nächsten als outsider gesehen… das kann viele kreise in der entwicklung ziehen.

    auch die anzutreffende meinung: ach, glaube nur, dann werden alle probleme sich lösen – ok, das angesprochene grundvertrauen ist super, doch wenn der umkehr-schluß lautet: ah, da ist dein problem, du glaubst nicht genug… das ist wieder schlimm
    sowas kommt vor

    die religiosität philosophisch zu sehen, ist angenehm.
    aber, wie martin buber das „DU“ erläuterte, in der begegnung zwischen menschen findet, wenn sie gelingt, das ereignis des DU statt, so brauche ich eigentlich auch das gott-du; das ist überbleibsel meiner kindheitschristlichkeit und ein juwel, das in eigentlich jeden kontext paßt, das heißt, es ist ganz unabhängig von einer speziellen institutionellen glaubensrichtung

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  5. Hallo ich bin sehr begeistert von euren Sendungen damit ich gezielter zu bestimmten Themen hören könnte wäre es irgendwie möglich ein Inhaltsverzeichnis zu machen oder gibt es das irgendwo und ich habe es noch nicht gefunden schöne Grüße Sabine

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  6. Vielen Dank für diese interessante Sendung. Ich freue mich, dass ihr euch diesem Thema gewidmet habt.

    Religiosität als wichtiger Faktor beim Heilungsprozess wird leider noch von vielen nicht wahrgenommen. Trotzdem wird diesbezüglich viel geforscht und referiert.
    In dem Zusammenhang möchte ich auf einen Medizinerkongress hinweisen, der jedes Jahr in Bad Honnef stattfindet und der ganz unter dem Motto „Medizin und Spiritualität“ steht: https://www.kongress-psychomedizin.com/

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  7. Sehr interessante Folge. Vor allem, weil mich die Sache Seelsorge/Psychotherapie gerade selbst sehr beschäftigt. Ich bin vor ein paar Monaten umgezogen, hatte in der alten Stadt noch eine Therapeutin und habe es aber nicht geschafft, in der neuen Stadt auch schon eine Anbindung zu organisieren.
    Auf Seelsorge bin ich ehrlich gesagt gar nicht gekommen, wäre ich wohl auch nie, weil ich das immer im religiösen Kontext gesehen habe und ich nun mal so gar nicht religiös bin.
    Es war dann eher so, dass der Seelsorger mich – als mir unübersehbar alles über den Kopf wuchs – in einer ruhigen Minuten aufgegabelt und gefragt hat, ob wir uns mal zusammen setzen wollen.

    Ich hatte sehr große Zweifel, was das werden soll.

    Wie in der Folge schon angeklungen, gibt es wahrscheinlich verschiedene Typen von Seelsorgern. Wahrscheinlich gibt es auch welche, die eine gewisse Religiosität voraussetzen. Wir haben aber natürlich darüber gesprochen und er fand es überhaupt nicht schlimm.

    Ich muss sagen, dass ich das Konzept, das er fährt im Moment sehr interessant finde. Er arbeitet ziemlich viel mit dem, was man in der Psychotherapie als gestalttherapeutische Elemente bezeichnen würde und das hat im Moment bei mir eine ziemlich heftige Wirkung. Es ist unfassbar anstrengend mit ihm und so hätte ich Termine mit einem Seelsorger nie erwartet. Er gibt mir auch immer irgendwelche Hausaufgaben mit und im Moment arbeite ich intensiver an meinem Schlamassel, als ich das vorher je getan habe. Und ich habe seit langem mal wieder Hoffnung, dass es das wirklich bringt, sich damit auseinander zu setzen.

    Und ein ganz großer Vorteil ist, dass ich weiß, dass er damit nicht zwingend sein Geld verdient. Ich weiß nicht, wie ein Pfarrer bezahlt wird, aber definitiv nicht nach den Stunden, die er mit seinen „Klienten“ absitzt. Es gibt da auch nicht unbedingt eine Zeitbegrenzung. Manchmal sitzen wir da eine Stunde, manchmal zwei, je nachdem. Bei ihm nehme ich ihm das irgendwo ab, wenn er sagt, dass es ihm um mich als Person geht und darum, dass er glaubt, dass da noch ganz viel Potential hinter all den Schwierigkeiten steckt.
    Es ist auch nicht so, dass da irgendwelche Stunden rückwärts gezählt werden, die die Krankenkasse halt noch zahlt. Das ist erstmal alles okay, so wie es läuft und ich bestimme – natürlich nach Maßgabe seiner Zeit – wie viel ich da gerade brauche.

    Das sind auf jeden Fall zwei Faktoren, die mir in den letzten Wochen so bewusst geworden sind, die die ganze Sache, die ja nun auch sehr sensibel ist, irgendwie auf einen festeren Boden stellen, als eine Psychotherapie.

    Natürlich klingt da auch hin und wieder der Glauben an, aber nur sehr dosiert und auch nur, wenn ich das zulasse. Er fragt jedes Mal, ob ich mich da gerade drauf einlassen kann. Wahrscheinlich schöpft er seine Ressourcen aus einem völlig anderen Weltbild als ich und er hat mir tatsächlich nahe gelegt, dass Religiosität eine Kraftquelle sein kann und auch ein Ort, um gewisse Fragen offen stehen zu lassen und darauf zu vertrauen, dass das einen höheren Sinn hat.
    Er hat mir auch angeboten, mich mal mit in die Kirche zu nehmen und das einfach mal auf mich wirken zu lassen. Aber ich kann es entscheiden und wenn das für mich nichts ist, dann ist das in Ordnung.

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  8. Vielen Dank für diese Folge!

    Ich weiß, mein Kommentar kommt spät… Aber ich bin heute auf Ihren Podcast gestoßen und habe mir die Folge zu Religiosität gerade angehört.

    Ich möchte gerne eine Sicht ergänzen, und zwar die Sicht einer Aussteigerin.

    Natürlich haben Sie recht, dass man im Normalfall den großen Kirchen in unserem Land trauen kann und die meisten Menschen dort aufgeklärte Menschen sind, die einen gesunden Glauben vermitteln und vertreten. Die gesundheitsförderlichen Aspekte des Glaubens sind mir auch sofort einleuchtend und ich finde es nur folgerichtig, sie als Ressource für Therapie zu nutzen.

    Allerdings gibt es neben den großen (christlichen) Kirchen auch viele kleine, die entweder kleine Dachverbände bilden oder sich keinem großen Verband zugehörig fühlen. Sie existieren also weitgehend abgeschirmt ohne Kontrolle der Öffentlichkeit. Hier herrscht eine große religiöse Vielfalt, die neben wunderbaren Gemeinschaften auch abstruse Erscheinungsformen hervorbringt. Ich bin in einer solchen Gemeinschaft aufgewachsen und kann nur sagen: Es gibt neben dieser „intrinsischen“ und „extrinsischen“ Glaubensvariante eben auch Glaubensdogmen, die in solchen Gemeinschaften gepredigt werden, die aus psychologischer Sicht ganz eindeutig schädlich sind. Die Warnung vor dem Psychotherapeuten kommt dann einerseits aus dem Nichtwissen, zum anderen aber auch aus der Ahnung, dass solche Missstände aufgedeckt werden könnten und man seine Mitglieder verlieren könnte.

    Aus meiner Erfahrung ist es ab einem bestimmten Alter unmöglich, solche Menschen von ihren religiösen Überzeugungen abzubringen, und seien sie noch so schädlich. Gerade im Jugendlichenalter oder bei jungen Erwachsenen stellt sich aber schon die Frage, ob krankmachende religiöse Überzeugungen nicht aufgedeckt und bewusst gemacht werden müssen. Denn bei solchen Kirchen geht es immer auch um ein Machtgefälle zwischen religiösen Führern und Mitgliedern, die in einer bestimmten Doktrin gefangen sind und eigentlich Hilfe von außen brauchen. (Stichworte: Religiöser Missbrauch, toxische Religion).

    Ich denke, dass dieses Phänomen nicht so selten vorkommt, wie das vielleicht viele denken. Aber vielleicht findet man solche Menschen eher nicht in einer Praxis für Psychotherapie wieder, weil sie nicht dorthin „dürfen“.

    Kurz gesagt: Das Krankmachende liegt nicht immer im Patienten, sondern manchmal auch in der Religion selbst.

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