Laut der WHO sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen weltweit die häufigste Ursache erkrankungsbedingter Beeinträchtigungen. Die Depression und Angststörungen folgen in den Industriestaaten auf Platz zwei. Für Erwerbsunfähigkeitsrenten liegen psychische Störungen in Deutschland auf dem ersten Platz.
Psychosomatische Faktoren spielen erwiesenermaßen vor allem bei den folgenden kardialen Erkrankungen eine Rolle: Koronare Herzerkrankung, Arterielle Hypertonie, Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz und nach Herztransplantationen[1]. Besonders problematisch ist, dass in der ambulanten kurativen Versorgung kardiopsychosomatische Aspekte vernachlässigt werden[2] und Herzerkrankungen vom ambulanten PsychotherpeutInnen oft nicht aufgegriffen werden[3], was sich negativ auf die Erwerbsprognose auswirkt. Bei ca. 40 % der PatientInnen mit herzbezogenen Beschwerden findet sich ein psychischer Konflikthintergrund, bei dem Aspekte von Angst zentral sind[4], was sich nachteilig auf die eigene Selbsteinschätzung und realistische Beurteilung der Belastbarkeit auswirkt. Bei 20-25 % der PatientInnen mit Koronarer Herzerkrankung lassen sich depressive Symptome nachweisen, die über Verhaltensweisen, als auch über das endokrine System u. a. eine Arteriosklerose weiter vorantreiben, und bereits kurzfristig zu einer Abnahme der Arbeitsfähigkeit führen. Weiterhin besteht bei ca. jeder vierten PatientIn nach einem akuten kardialen Ereignis wie einem Myokardinfarkt eine Anpassungsstörung oder eine Traumafolgestörung, was die Wahrscheinlichkeit einer erneuten stationären Aufnahme (in die Akutklinik) innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt[5].
Beispiele kardiopsychosomatischer Zusammenhänge:
- Eine Depression und eine chronische Erschöpfung stellen bei Herzgesunden einen unabhängigen psychosozialen Risikofaktor für eine erhöhte kardiovaskuläre Mortalität dar, der im Bereich der typischen somatischen Risikofaktoren (Rauchen, Adipositas u. a.) liegt.[6]
- Ein bestehendes Missverhältnis von hohen Anforderungen und geringen Kontrollmöglichkeiten im Beruf und das Modell der beruflichen Gratifikationskrise (hohe Verausgabung und gering wahrgenommene Belohnung) erhöhen das Risiko für eine KHK um das 2- bis 4-fache.[7]
- Eine voll ausgeprägte depressive Erkrankung, aber auch schon (subklinisch) erhöhte Werte für „Depressivität“ können den Verlauf nach einem Myokardinfarkt oder bei Herzinsuffizienz negativ beeinflussen und gehen mit einer mehr als doppelt erhöhten Mortalität einher.[8]
- Ein kardioprotektiver Effekt kann v. a. durch soziale Unterstützung und Eingebundenheit (Milieutherapie) erreicht werden. [9]
Wir sprechen anhand eines ausgedachten Patienten mit depressivem Syndrom nach Herzinfarkt über einige dieser Zusammenhänge. Dabei zeigt sich eine kleine Challenge, da wir in der klinischen Versorgung unterschiedlich mit den vorhandenen Kenntnissen umgehen – wir debattieren über die Risiken einer psychotherapeutischen Über- oder Unterversorgung. Die Folge ist mal wieder mehr medizin- und psychotherapielastig – wir hoffen, dass Ihr Neues daraus mitnehmen könnt. Der Ton klingt nächstes Mal wieder besser… In der Sendung erwartet Euch noch eine Verlosung von 5 Büchern von Alex Bestseller „Dann ist das wohl psychosomatisch!“.
Links zur Show:
Michael Ermann: Herz und Seele
Horst-Eberhard Richter: Herzneurose
Christoph Herrmann-Lingen et al.: Psychokardiologie
Vielen Dank an den großartigen PsychCast-Freundeskreis, dass Ihr diese Folge ermöglicht habt.
Quellen und zum Weiterlesen:
[1] Meißner, M. et al.: Psychosomatische Medizin: Mehr Psychokardiologie täte not. Dtsch Arztebl 2011; 108(48): A-2589 / B-2167 / C-2139.
[2] Eichenberg, C. et al.: Psychokardiologie: Das Herz als Projektionsort psychischer Konflikte. Dtsch Arztebl International 2019; 8(18).
[3] Bunz, M. et al.: Psychokardiologie: Wie Herz und Psyche zusammenhängen. Dtsch med Wochenschr 2015; 140(02): 117–124.
[4] Roest, AM et al.: Anxiety and risk of incident coronary heart disease. A meta-analysis. J Am Coll Cardiol 2010; 56: 38–46.
[5] Jordan, J. at al.: Posttraumatische Belastungsstörungen nach einem akuten Herzinfarkt Implikationen für die psychotherapeutische Behandlung. Psychotherapeut 2005, 50: 33–42.
[6] Ladwig KH, Baumert J, Marten-Mittag B et al. Room for depressed and exhausted mood as a risk predictor for all-cause and cardiovascular mortality beyond the contribution of the classical somatic risk factors in men. Atherosclerosis. 2017; 257: 224–231.
[7] Herrmann-Lingen, C. et al.: Psychokardiologie. Ein Praxisleitfaden für Ärzte und Psychologen, 3. Aufl., Springer, Heidelberg u. Berlin 2020.
[8] Herrmann-Lingen, C. et al.: Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen. In: Köhle, K. et al. (Hrsg.): Uexküll Psychosomatische Medizin, 8. Auflage, München: Elsevier 2017: 889–998.
[9] Herrmann-Lingen, C. et al.: Psychokardiologie. Ein Praxisleitfaden für Ärzte und Psychologen, 3. Aufl., Springer, Heidelberg u. Berlin 2020.