PC011 Genetik vs. Biographie oder wie wir wurden, wer wir sind und wenn ja, wieviele?

In der ersten Folge nach dem Sommer sprechen wir darüber, wie wir zu dem Menschen geworden sein könnten, der wir sind. Auch reden wir über Halluzinationen und Pseudohalluzinationen (Hörerinnenfrage), die Kunst, sich über Kleidung zu beeinflussen, Skepsis gegenüber des Positiven Denkens, den SozioPod und die Hörerbeteiligung beim Liveauftritt, den Klappentext des Buches „Biographische Anamnese unter tiefenpsychologischem Aspekt“ von Annemarie Dührssen.

7 Gedanken zu „PC011 Genetik vs. Biographie oder wie wir wurden, wer wir sind und wenn ja, wieviele?“

  1. Die Folge hat mir gut gefallen. Das Kostümieren kannte ich noch nicht. Schreibtischarbeit im Jogginganzug mit Bierdose werde ich überdenken.

    Was mir bei psychologischen Ursachenfragen fast immer fehlt, sind sind soziale Faktoren des Ausschließens. Umwelteinflüsse werden oft so verstanden, dass sie direkt ins Gehirn des Individuums eindringen, sich das Individuum veraändert und dadurch seine Biographie formt.

    Wie der Soziologe Bourdieu zeigte (wahrscheinlich hat das irgend ein Psychologe auch ähnlich beschrieben), schließen Gruppen jene Personen aus, die sich nicht entsprechend der Gruppeninternen Codes verhalten. Ganz abgesehen von Standesgesellschaften in denen man keine Chance hat, den stand zu wechseln. Die Gruppen, die ein Individuum ausschließen, wirken nicht direkt als Umweltreiz ins Gehirn ein. Mitunter merkt das Individuum gar nicht, dass es ausgeschlossen wird. Dennoch prägt dieser Umstand über viele Ecken die Biographie.

    Deshalb suggeriert mir die Frage Genetik vs. Biographie zu sehr die Betonung auf Biologie und Gehirn und setzt soziale Aspekte nur ein, soweit sie vom Gehirn transformiert werden.

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  2. Hallo Ihr beiden!
    Erst mal ein dickes Lob an Euch… Ich höre Euch sehr, sehr gerne zu – und habe das Gefühl, dabei immer etwas Neues zu lernen. 🙂
    Bei aller Skepsis gegenüber der positiven Psychologie geht mir nach dem Hören dieser Folge und dem Lesen des Kommentars des werten Sonntagssoziologen nicht mehr aus dem Kopf, warum wir uns – bei „normalen“ Menschen, die – zumindest meistens – ganz gut mit ihrem Leben und ihren Mitmenschen zurecht kommen, trotzdem auf die ätzenden Kommentare der Tante Hedwig fokussieren oder auf die sozialen Gruppen, die uns ausgeschlossen haben? Warum besinnen wir uns nicht, auf die Menschen und sozialen Gruppen, von denen wir bestärkt und unterstützt wurden, mit denen wir positive Erfahrungen und Erinnerungen teilen und von denen wir viel lernen konnten?
    Soll die arme Tante Hedwig doch weiter Gift und Galle spucken, wir sollten ihr nicht die Macht einräumen, unser Leben nachhaltig zu beeinflussen.
    Viele Grüße aus Berlin – und weiter so!
    silke

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    • Ich möchte dazu auch was loswerden, habe heute morgen die Folge zu Ende gehört und bin über den Ausdruck von Alexander „positive Psychologie und so’n Kram“ gestolpert. Ich habe die Vermutung, dass hier eine Begriffsverwirrung besteht, nämlich zwischen
      – positivem Denken: https://de.wikipedia.org/wiki/Positives_Denken (darum geht’s in dem Zeit-Artikel)
      – positiver Psychologie: https://de.wikipedia.org/wiki/Positive_Psychologie
      – positive Psychotherapie: https://de.wikipedia.org/wiki/Positive_Psychotherapie

      Das klingt alles drei ähnlich, meint aber völlig verschiedene Dinge. Während positives Denken aus meiner Sicht „Kram“ ist :), eht es bei den anderen beiden Begriffen bzw. Konzepten um Salutogense, Resilienz, Ressourcen, wie das in der „modernen“ Psychotherapie auch gefordert wird. Nicht im Sinne vonm „Positiv Denken“, sondern „auch die positiven Seiten sehen“ und dem Patienten bewusst machen, was auch alles gut läuft. Das widerspricht in keinster Weise der Integration von unangenehmen Gefühlen, wie Jan das sagt. Es fällt nur möglicherweise leichter, wenn ich sehe, dass viel „gut“ ist, und ich da auch ohne große Abstriche ein bisschen „blöd“ integrieren kann 🙂

      Gruß
      Daniel

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      • Hallo Daniel, ganz vielen Dank für Deinen wichtigen Beitrag. Da stimme ich Dir trotz meiner damaligen (anscheinend verallgemeinernden) Aussage voll und ganz zu. Gerade der Ansatz der Positiven Psychologie (Seligman) ist elementar für eine moderne Psychotherapie, die die zähe Verfolgung des „Defizitmodells“ verlassen haben sollte.
        Viele Grüße und bis bald, Alexander

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  3. Vielen Dank! Hier bin ich zufaellig reingeraten und es hat mir sehr gefallen! Ein paar Anmerkungen auf freundliche Ermunterung dazu hin:
    – Es haengt von der aktuellen Gesellschaftsform ab ob es eine Katastrophe ist wenn alle „Daten“ von anderen (allen?) angesehen werden koennen, es also keine Privatsphaere gibt. Daten werden ja benutzt um Machtgebilde aufrechtzuhalten zb. Diktatur oder auch bei uns diese, wie soll ichs nennen um nicht einfach Kapitalismus in kriegstreiberischer Ausführung zu sagen… , Warenmacht? Vor der Machtergreifung der Nazis wurden, natürlich von hier aus stuemperhaft, Listen geführt. Die erste Verhaftungswelle folgte schon in der ersten Nacht aufgrund dieser Unterlagen. Da ging es durchaus um solche banalen Sachen wie: Hat immer eine grosse Klappe und ist extremer Gerechtigkeitsfanatiker bzw Antirassist. Bis dato angesehene Psychoanalytiker, Aerzte, Juristen waren auch dabei, bzw mussten noch in derselben nacht fliehen.. denkt doch auch an Stasi etc, und wozu solche Daten benutzt werden koennen, oder auch an Patienten? Und eben euch selbst als verletzlicher als es jetzt vielleicht scheint.
    – Genetik genau! veraendert sich schon in einer Generation durch Lernen. An Pudeln experimentell nachgewiesen. des Pudels Kern…
    – Wichtigkeit der Kleinkindzeit…Mutter/Oma/Vertrauen habt ihr ein bisschen vergessen. Urvertrauen ist auch nicht unbedingt „Persoenlichkeit“.
    – Trauma FlasBacks sind auch noch mgliche Pseudo und teilweise auch reale Halluzinationen, also eventuell erst ein paar Stunden oder Tage spaeter erst als „Taeuschung“ erkannt, Sehr interessant finde ich dazu das Buch von Oliver sacks „Halluzinationen“. Weil darin auch seine eigenen Drogenerfahrungen zum Teil als Assistenzarzt mit gaengigen Medikamenten sehr klar und selbstverstaendlich dadurch eben emphatisch beschrieben sind.
    Vielen Dank also noch einmal! Und weil ich einfach meine Privatsphaere schütze hier nicht mit vollem Namen.—charlotte

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  4. Ich höre Euch gerne! Danke! – Bei dieser Folge gefiel mir besonders gut, dass Alex am Ende den Klappentext von Dührssens Buch vorlas. Tolle Idee, Alex, und ebenfalls toll, dass Jan mitgespielt hat. Das hat bei mir einiges gerade gerückt, was ich beim Hören vereinfacht polarisiert hatte. Danke!
    Ist übrigens auch ein gutes Beispiel von einem Aspekt der mir bei Euch so gut gefällt: Ihr sagt „ja“ zu den Vorschlägen und Beiträgen des anderen, wann immer es möglich ist, seid aber trotzdem auch unterschiedlich und „bereit zur Kante und zur Ecke“. Es erinnert mich an Improvisationstheater, das durch die „Ja“-sagen Regel so lebendig und spannend wird.
    Ich hatte auch noch die Idee, multikulturelle Biographien mal näher zu beleuchten, als Ihr über den Kulturkontext spracht. Vielleicht habt ihr das schon gemacht – bin gerade dabei die aktuellen Rosinen zu picken, und gleichzeitig bei Langeweile von Folge eins bis heute „hoch zu hören“.

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