PC114 Depression nach Herzinfarkt! Gefährlich? First steps Kardiopsychosomatik

Laut der WHO sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen weltweit die häufigste Ursache erkrankungsbedingter Beeinträchtigungen. Die Depression und Angststörungen folgen in den Industriestaaten auf Platz zwei. Für Erwerbsunfähigkeitsrenten liegen psychische Störungen in Deutschland auf dem ersten Platz.

Psychosomatische Faktoren spielen erwiesenermaßen vor allem bei den folgenden kardialen Erkrankungen eine Rolle: Koronare Herzerkrankung, Arterielle Hypertonie, Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz und nach Herztransplantationen[1]. Besonders problematisch ist, dass in der ambulanten kurativen Versorgung kardiopsychosomatische Aspekte vernachlässigt werden[2] und Herzerkrankungen vom ambulanten PsychotherpeutInnen oft nicht aufgegriffen werden[3], was sich negativ auf die Erwerbsprognose auswirkt. Bei ca. 40 % der PatientInnen mit herzbezogenen Beschwerden findet sich ein psychischer Konflikthintergrund, bei dem Aspekte von Angst zentral sind[4], was sich nachteilig auf die eigene Selbsteinschätzung und realistische Beurteilung der Belastbarkeit auswirkt. Bei 20-25 % der PatientInnen mit Koronarer Herzerkrankung lassen sich depressive Symptome nachweisen, die über Verhaltensweisen, als auch über das endokrine System u. a. eine Arteriosklerose weiter vorantreiben, und bereits kurzfristig zu einer Abnahme der Arbeitsfähigkeit führen. Weiterhin besteht bei ca. jeder vierten PatientIn nach einem akuten kardialen Ereignis wie einem Myokardinfarkt eine Anpassungsstörung oder eine Traumafolgestörung, was die Wahrscheinlichkeit einer erneuten stationären Aufnahme (in die Akutklinik) innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt[5].

Beispiele kardiopsychosomatischer Zusammenhänge:

  • Eine Depression und eine chronische Erschöpfung stellen bei Herzgesunden einen unabhängigen psychosozialen Risikofaktor für eine erhöhte kardiovaskuläre Mortalität dar, der im Bereich der typischen somatischen Risikofaktoren (Rauchen, Adipositas u. a.) liegt.[6]
  • Ein bestehendes Missverhältnis von hohen Anforderungen und geringen Kontrollmöglichkeiten im Beruf und das Modell der beruflichen Gratifikationskrise (hohe Verausgabung und gering wahrgenommene Belohnung) erhöhen das Risiko für eine KHK um das 2- bis 4-fache.[7]
  • Eine voll ausgeprägte depressive Erkrankung, aber auch schon (subklinisch) erhöhte Werte für „Depressivität“ können den Verlauf nach einem Myokardinfarkt oder bei Herzinsuffizienz negativ beeinflussen und gehen mit einer mehr als doppelt erhöhten Mortalität einher.[8]
  • Ein kardioprotektiver Effekt kann v. a. durch soziale Unterstützung und Eingebundenheit (Milieutherapie) erreicht werden. [9]

Wir sprechen anhand eines ausgedachten Patienten mit depressivem Syndrom nach Herzinfarkt über einige dieser Zusammenhänge. Dabei zeigt sich eine kleine Challenge, da wir in der klinischen Versorgung unterschiedlich mit den vorhandenen Kenntnissen umgehen – wir debattieren über die Risiken einer psychotherapeutischen Über- oder Unterversorgung. Die Folge ist mal wieder mehr medizin- und psychotherapielastig – wir hoffen, dass Ihr Neues daraus mitnehmen könnt. Der Ton klingt nächstes Mal wieder besser… In der Sendung erwartet Euch noch eine Verlosung von 5 Büchern von Alex Bestseller „Dann ist das wohl psychosomatisch!“.

Links zur Show:
Michael Ermann: Herz und Seele
Horst-Eberhard Richter: Herzneurose
Christoph Herrmann-Lingen et al.: Psychokardiologie

Vielen Dank an den großartigen PsychCast-Freundeskreis, dass Ihr diese Folge ermöglicht habt.


Quellen und zum Weiterlesen:

[1] Meißner, M. et al.: Psychosomatische Medizin: Mehr Psychokardiologie täte not. Dtsch Arztebl 2011; 108(48): A-2589 / B-2167 / C-2139.

[2] Eichenberg, C. et al.: Psychokardiologie: Das Herz als Projektionsort psychischer Konflikte. Dtsch Arztebl International 2019; 8(18).

[3] Bunz, M. et al.: Psychokardiologie: Wie Herz und Psyche zusammenhängen. Dtsch med Wochenschr 2015; 140(02): 117–124.

[4] Roest, AM et al.: Anxiety and risk of incident coronary heart disease. A meta-analysis. J Am Coll Cardiol 2010; 56: 38–46.

[5] Jordan, J. at al.: Posttraumatische Belastungsstörungen nach einem akuten Herzinfarkt Implikationen für die psychotherapeutische Behandlung. Psychotherapeut 2005, 50: 33–42.

[6] Ladwig KH, Baumert J, Marten-Mittag B et al. Room for depressed and exhausted mood as a risk predictor for all-cause and cardiovascular mortality beyond the contribution of the classical somatic risk factors in men. Atherosclerosis. 2017; 257: 224–231.

[7] Herrmann-Lingen, C. et al.: Psychokardiologie. Ein Praxisleitfaden für Ärzte und Psychologen, 3. Aufl., Springer, Heidelberg u. Berlin 2020.

[8] Herrmann-Lingen, C. et al.: Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen. In: Köhle, K. et al. (Hrsg.): Uexküll Psychosomatische Medizin, 8. Auflage, München: Elsevier 2017: 889–998.

[9] Herrmann-Lingen, C. et al.: Psychokardiologie. Ein Praxisleitfaden für Ärzte und Psychologen, 3. Aufl., Springer, Heidelberg u. Berlin 2020.

44 Gedanken zu „PC114 Depression nach Herzinfarkt! Gefährlich? First steps Kardiopsychosomatik“

  1. Lieber Alex, lieber Jan,

    vielen Dank für die aktuelle Folge. Ich hatte eine Erkenntnis in eigener Sache zu den Themen Rollenmuster und Abwehrmechanismen der Psyche.
    Danke für Euren Podcast 🙂

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  2. Was tue ich als Berufsanfänger in der Inneren, wenn ich keine körperliche Ursache für die Beschwerden finde? Der Oberarzt rät- der soll sich halt nen guten Therapeuten suchen. Vielleicht lese ich dein Buch für weitere Hinweise? Also gewinnen würde ich es schon sehr gerne!!

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  3. Tolle Podcastfolge – wie immer!

    Diese Folge fand ich die Erörterung an einem Beispiel super. Habt ihr zwar auch in der Vergangenheit gemacht, aber ich fand es wieder klasse und sehr anschaulich.

    Vielen Dank für eure Arbeit!!

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  4. Vielen Dank für diese und all die vorherigen Folgen. Ich nehme immer wieder viel mit und verstehe manche Sachen erst durch eur lebhaften Beschreibungen so richtig 🙂

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  5. Danke danke danke, dass ihr mich so gut auf das Examen vorbereitet und durch die Lernzeit begleitet habt und dass ich euch auch jetzt auf dem Weg zur Fachärztin Psychiatrie und Psychotherapie weiterhin im Ohr haben kann!
    Ich freue mich über jede nächste Folge!

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  6. Vielen Dank wieder einmal für diese Folge.
    Ich beschäftige mich erst seit Kurzem mit dem Thema Psychotherapie und euer Podcast ist einfach perfekt zum Kennenlernen dieses großen Feldes.

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  7. …. ich wollte nur sagen, auf alle Fälle lesenswert das Buch! Mich könnt Ihr rausnehmen aus den Verlosungskommentaren, ich habe das Buch bereits ,-)!

    Aber ich habe eine Frage, die mich tatsächlich brennend interessiert, was haltet Ihr eigentlich von diesen Online Trainingsangeboten der Krankenkassen, wo dick Werbung gemacht wird „schnelle Hilfe bei Depressionen, durch ei Online Trainingspgrogramm.“ (die Kasse die damit wirbt nenn ich jetzt mal nicht oder dann ein weiteres Angebot einer anderer Kannse die wirbt damit ein Online Trainingsprogramm anzubieten wo man innerhalb von drei Monaten von Angsstörungen befreit wird …“

    Mal so ganz ehrlich, hat das Wirkung, kann man durch ein Onlinetrainingsprogramm wo man Arbeitsblätter und Co ausfüllt schnell von einer Depression „befreit“ werden oder seine Panicktstörungen und so befreit werden? Ebenso habe ich gelesen das da sogar Programme für Borderliner angeboten werden? Ersetzt das eine richtige Therapie oder dienst das nicht zur Kostenreduktion? In einer Folge war ja mal die Sprache davo das Alex selbst u.a. bei einer Krankenkasse arbeitet, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Alex müsste dann ja genau wissen was das für Programme sind die schnelle Hilfe versprechen. Und gibt es da schnelle Hilfen bei einer richtigen Depression, wenn das ja so einfach wäre, warum gehen die Leute dann oft stationär, fragen über Frage.

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  8. Interessanter Beitrag, v.a. war ich von der Häufigkeitsangabe manifester Depressionen nach Myokardinfarkten überrascht. Darauf wird aus meiner Sicht zu wenig geachtet, was dann zu längerfristigen Einschränkungen der psychosozialen Gesundheit führt. Anhand des Patientenbeispiels war der Unterschied zwischen autonomen und abhängigen Persönlichkeitszügen gut nachvollziehbar.

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  9. Vielen Dank für Eure neue Folge, ihr trefft irgendwie immer das passende Thema mit dem ich mich gerade im Rahmen meiner Ausbildung zum Heilpraktiker Psychotherapie beschäftige. Ihr bringt jedes Mal ein bisschen mehr Licht in den Psych-dschungel – toll 🙂 Danke dafür.

    Lieben Gruß
    Manuela

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  10. Danke für eure Arbeit! Ich höre seit drei Jahren begeistert zu obwohl ich völlig fachfremd arbeite. Aber Menschen und ihre Psyche sind ja immer interessant!

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  11. Vielen Dank für diese interessante Folge. Ich bin interessierte Laie und höre euch immer wieder gerne. Über das Buch würde ich mich natürlich auch sehr freuen. LG

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  12. Hallo, ich verfolge euren Podcast schon eine ganze Weile (als Patientin) und freue mich immer wie gut verständlich und auch humorvoll ihr das alles aufdröselt! Die KHK/ Depressionsfolge wird dann hoffentlich noch mit dem „Klinikplan“ fortgesetzt!
    Großes Dankeschön
    (Hiebe vorhin an falscher Stelke kommentiert…)

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  13. Ich fand’s auch sehr interessant. Besonders, wenn Ihr auch mal verschiedener Meinung seid und sich ein kleiner „Disput“ ergibt, wird es besonders authentisch und lebendig. Das ist tatsächlich praxisnah.
    Danke und weiter so!

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  14. von herzen danke ich euch für euer engagement. der podcast begleitet mich schon eine ganze weile. als patient in der tagesklinik, als coach im beruflichen alltag und nicht zuletzt in der prüfungsvorbereitung zum hp psych (heute bestanden). super macht ihr das. weiter so ♡

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  15. Vielen Dank für eure tollen Podcasts. Ich habe bis jetzt keine einzige Folge verpasst & freue mich jedes Mal riesig, wenn ihr eine neue Folge aufgenommen habt! Ich bin (noch) Psychologie-Stundentin und habe damals aufgrund meines großes Interesses für Psychologie angefangen, den PsychCast zu hören.

    Inzwischen habe ich jedoch festgestellt, dass „Psyche“ & „Körper“ so eng verknüpft sind, dass sie sich gar nicht voneinander trennen lassen. Besonders die Psychosomatik und die biologische Psychologie haben es mir also angetan. Genau aus diesem Grund habe ich jetzt tatsächlich beschlossen, meinen Studiengang zu wechseln und – wie ihr damals – Medizin zu studieren.

    Der PsychCast wird mich auf diesem Weg selbstverständlich weiterhin begleiten!

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  16. Liebe Alex, lieber Jan,

    ich höre euch jetzt seit 2,5 Jahren zu. Ihr habt mich oft begleitet- bei der Prüfungsvorbereitung, auf dem Jakobsweg, im Arbeitsleben! Ich höre euch gerne zu und finde es immer klasse- besonders eure „Hemdsärmlige Art“…
    ABER
    Jetzt muss ich schreiben denn: Ergotherapie ist nicht nur Mandala ausmalen und ich hoffe das wisst Ihr! (Wir) Ergotherapeuten arbeiten klientenzentriert und ressourcenorientiert. Wenn ein Patient kein Mandala ausmalen möchte, dann muss er das auch nicht. In meiner Ergotherapie dürfen die Patienten tatsächlich selbst entscheiden was diese möchten und es gibt sogar ab und an jemanden der freiwillig und gerne Mandalas ausmalt 😉 (ich persönlich mag Mandalas auch nicht…). Das Berufsbild der Ergotherapeuten steht oft etwas negativ behaftet da- wir werden sehr, sehr oft als Basteltanten abgetan und ich hoffe es ist euch bewusst- dass Ihr mit eurer Aussage/Reichweite dieses Bild nicht unbedingt aufbessert 😉
    Ich sehe in meinem Alltag oft Chefärzte und Oberärzte denen es ähnlich geht und nicht genau wissen, was Ergotherapie ist und was diese alles kann!
    Bitte fühlt euch nicht angegriffen, sondern nur aufmerksam gemacht..:)

    p.s. ich würde mich sehr freuen, wenn ich das Buch gewinnen würde 🙂

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  17. Ich liebe Euren Podcast und über das Buch würde ich mich sehr freuen.
    Ihr habt mir den Umgang mit psychischen Problemen in der Allgemeinmedizin wirklich erleichtert.
    Liebe Grüße und vielen Dank

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  18. Die Verlosung bringt sogar mich zum Kommentieren
    Ich habe bisher jede Folge gehört. Diese hier fand ich Mal wieder besonders spannend, und ich habe
    heute gelernt, dass man das, was ich auch kenne, Palpitationen nennt.
    Vielen Dank!
    Auch vielen Dank dafür, dass ich über euren Podcast und Eure Seiten weiteren tollen Content gefunden habe: Jung und Freudlos, Rätsel des Unbewussten, Psychiatrypodcast und letztens den Lacast.
    Viele liebe Grüße
    Jana

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  19. Ein tolle Folge, danke dafür. Ich fand das Format, anhand eines Fallbeispiels zu arbeiten, sehr angenehm.
    Noch eine Anmerkung aus meiner Berufserfahrung: eine besondere Kardio-Patientengruppe stellen auch die Patient*innen mit implantierten Schrittmachern und vor allem Defibrillatoren dar. Da hat das Auslösen dieser Geräte, deren Einfluss auf Körperwahrnehmung und Ängste noch eine ganz besondere Bedeutung, die auch zu Vermeidungsverhalten und Rückzug führen kann.

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  20. Lieber Alex, lieber Jan!
    Ich bin von Anfang an großer Fan eures Podcasts und höre wirklich jede neue Folge mit großer Freude. Danke für eure tolle Arbeit!!! Ich bin derzeit in der Weiterbildung zur Psychiaterin, überlege allerdings doch noch auf Psychosomatik umzuschwenken, so dass das Thema dieser Folge für mich wirklich hochinteressant war!!
    Herzliche Grüße Laura

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  21. Lieber Alex, lieber Jan,

    Vielen Dank für die tolle Art wie ihr psychiatrische und psychosomatische Fragestellungen auf unterhaltsame und angenehme Art präsentiert. Dieser Kommentar hat übrigens nichts mit der Verlosung zu tun 😉

    Viele Grüße,
    Cedric

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  22. Hi ihr beiden, ich habe vor einer Woche meinen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie bestanden und wollte euch danken für den Input, der mich regelmäßig in der Lernzeit, aber auch davor, auf dem Weg zur Arbeit und von ihr weg begleitet hat – und solltet ihr mal Lust auf eine Folge mit KJP-zentrischen Themen haben würde ich mich arg freuen!
    Vielen Dank für den Podcast, weiter so!

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