Vergesst Amor und Psyche, das Verhältnis von Arbeit und Psyche kann viel spannender sein, jedenfalls wenn man es mit Undine Zimmer bespricht!
Undine ist Autorin des Buches „Nicht von schlechten Eltern“, das auf sehr einfühlsame Art beschreibt, wie es ist, in einer Familie aufzuwachsen, die von Hartz IV lebt, und wie es entgegen allen Klischees eben nicht ist, in so einer Familie aufzuwachsen.
Und sie arbeitet in einem JobCenter, so dass wir uns im zweiten Teil des Interviews über Arbeitssuche und psychische Erkrankungen unterhalten haben.
Viel Spaß bei Hören!
Wieder ein sehr interessantes Gespräch, aber die Aufnahmequalität ist dieses Mal irgendwie nicht so gut.
Wirklich erfrischend, daß nicht erst minutenlang erneut über Duzerei palavert wird
Bei Leuten mit Psychosen, weiß ich von Prof. Gründer (aus einem seiner Videos), dass 90% aller Leute mit einer Psychose vom Staat abhängig sind und nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig sind. Diese Statistik hätten Sie der Frau Undine sagen können. Es macht also Sinn zwischen den verschiedenen Erkrankungen zu differenzieren.
Ich habe bereits bei psychatrie-to-go kommentiert und meine negative Erwartungshaltung bezüglich des Interviews und der Interviewten kundgetan.
Jetzt habe ich es mir angehört und muss dringend einige Punkte ansprechen, die für mich erstaunlicherweise nicht vom Psychiater benannt worden sind.
Zunächst einmal hat Frau Zimmer mit Selbstverständlichkeiten begonnen. Natürlich sind Hartz4-Familien besser als ihr Ruf. Dass sie selbst aus einer stammt verdeutlicht dies nur. Sicherlich ist der Ruf schlechter als es in Wahrheit ist.
Vermisst habe ich von Frau Zimmer – aber nicht erwartet, denn sie vertritt das System Hartz4 – dass sie sich selbst über die negativen Folgen von Hartz4, insbesondere auch die psychologisch und psychiatrischen Folgen äußert. Mit anderen Worten wie das System Hartz4 die Menschen bewusst unter psychosozialen Stress setzt und damit auch einen Anteil an den Erkrankungen hat.
Ich kann gerne meine persönlichen Erfahrungen mit dem Jobcenter erwähnen, aber vielleicht gebe ich mal eine andere Quelle an, die sich zum Teil mit dem Thema beschäftigt haben: http://www.dgb.de/themen/++co++1d32f060-12a5-11e2-b675-00188b4dc422
Ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken Politik zu betreiben. Aber es muss auch von den Psychiatern wahrgenommen werden, dass das System Hartz4 psychisch krank macht. Im DGB Bericht wird nicht nur die mangelnde Erkennung und Förderung – wegen mangelnder Schulung der Vermittler- der beruflichen Reha thematisiert, sondern auch klargestellt, dass das Hartz4 System (auch psychisch) krank macht.
Ich habe bereits viele Betroffene kennen gelernt, die meine Erfahrungen teilen. Auch habe ich Wissen aus erster Hand, denn ich kenne einen ehemaligen Mitarbeiter vom Jobcenter. Ich wurde nach meinem erfolgreich abgeschlossenen Studium vom Jobcenter in die Gruppe der schnell zu vermittelnden Personen gesteckt. Das ist also eine Gruppe, die besonders schnell in den ersten Arbeitsmarkt gedrängt werden soll, da sie qualifiziert sind. Konkret hieß dies, dass ich über einen Zeitraum von 1,5 Jahren, alle 2-3 Wochen eingeladen worden bin und bei den Terminen unter extremen Stress gesetzt worden bin. Es kamen immer wieder die Fragen auf, warum man trotz der Bewerbungen noch keinen Job hätte. Dass es doch die anderen schaffen würden, aber man selbst nicht. Dass man sich mehr anstrengen müsse. Dass man auch Jobs unter seinen Qualifikationen annehmen müsse (Das hieß also, dass man Bewerbungen auf eine Stelle als Rechtsanwaltsgehilfe schreiben musste, obwohl man ausgebildeter Diplom Kaufmann ist. Jeder mit etwas Verstand weiß, dass das nicht nur eine Degradierung ist, sondern auch gar keinen Erfolg verspricht, da man überqualifiziert ist.) . Das ist nur ein Beispiel, die Vermittler werden sogar laut und aggressiv. Das alles hinterlässt natürlich Spuren und man verliert das wichtigste, sein Selbstwertgefühl. Dies ist natürlich ein Katalysator für Depressionen und enormer psychosozialer Stress, der eine Psychose begünstigen kann. So ist es mir gegangen.
Die berufliche Reha wird von den Jobcentern oft gar nicht erkannt und wegen der Kosten ungern gefördert (nachzulesen im DGB Bericht) bzw. bewusst abgelehnt, da sie Kosten verursachen. Mir wurde als Reha, ein Ein-Euro-Job vorgeschlagen, der völlig an meine günstige Prognose und Leistungsfähigkeit vorbeigeht. Da es für meine Bedürfnisse keine passende Reha gibt, habe ich eine Weiterbildung vorgeschlagen, die wiederum abgelehnt wurde, da ich diese nicht benötigen würde. In Wahrheit geht es aber um die Kosten. Fazit: Ich müsse mich einfach wieder bewerben. Ich weiß allerdings aus Gesprächen mit privaten Arbeitsvermittlern, dass ich ohne Weiterbildung und anschließendes Praktikum, wegen der langen Auszeit aufgrund der Psychose und einer Krebserkrankung, keine Chance auf dem Arbeitsmarkt habe.
All das wird von Frau Zimmer nicht erwähnt, was aber klar war. Überrascht bin ich aber immer wieder, dass Sie als Psychiater das System von Hartz4 nicht kritisch kommentieren. Denn ich bin mit Sicherheit kein Einzelfall. Aber auch meine Psychiater kennen sich viel zu wenig mit den Folgen von Hartz4 aus und konnten teilweise gar nicht glauben, was ich ihnen erzählt habe. Mir kann man auch nicht unterstellen, eine falsche Vorstellung gehabt zu haben, wie das Jobcenter mit einem umzugehen hat, Stichwort „Übersensibilität“. Dass ich quasi nur zu „härter“ sein muss. Die Jobcenter überschreiten systematisch eine Grenze, das kann ich mittlerweile aus eigener Erfahrung sagen.
Ich hoffe Sie sehen das als Anreiz auch eine andere Sicht auf die Jobcenter zu haben. Dem Beitrag von Frau Undine Zimmer konnte ich nicht unkommentiert lassen. Ich empfand ihre Darstellung eher als Propaganda der Arbeitsagentur und der ihr unterstellten Jobcenter (Für das Buch benötigte sie bestimmt eine Genehmigung). Solche fürsorglichen Vermittler habe ich in meiner ärgerlichen Hartz4-Karriere noch nicht gesehen.